Raubkopien

Mittwoch, 17. September 2008
Da wird der arme Kerl erst jahrelang unter Hausarrest gesperrt weil er hat durchscheinen lassen dass er nicht ganz so doof wie seine Freunde von der Inquisition ist, und muss zu allem Überfluss alles widerrufen was er vorher so erzählt hat, und dann muss er, gute 350 Jahre später, mit seinem Namen auch noch für eine selbsternannte Wissenschaftssendung herhalten, deren wissenschaftliches Niveau schon kurz vor Beginn des ersten "W" in Wissenschaft auf der Strecke bleibt. Oder anders, die Wissenschaft hält höchstens bis zum Intro von Galileo durch, und dann dreht sie sich, schockiert und angewidert zugleich, schnellstmöglich weg, um den taktischen Rückzug vor überlegener geistiger Umnachtung anzutreten.
Ich kann mich vage an Zeiten erinnern, da Galileo noch eine zwar übersimplifizierende, aber trotzdem durchaus informative Sendung war. Das mag daran liegen, dass ich damals noch jünger war (oder daran, dass ich jetzt älter bin und das Gedächtnis nachzulassen beginnt), in jedem Fall aber war die Sendung nicht immer so schlecht, wie sie heute ist. Der langsame Abstieg begann, als man versuchte, alte Beiträge mit neuer Anmoderation als neue Folgen zu verkaufen, man fing sich dann aber wieder, produzierte neues Material, und verbannte den haarsträubenden Unsinn gar zu "Galileo Mystery", sicherheitshalber auf einen Sendeplatz gelegt an dem man höchstens mal versehentlich einschaltet, wenn irgendwo anders gerade Werbung ist. Diese Zeiten sind aber vorbei, und aktuell bemüht sich die Galileo-Redaktion wohl nach besten Kräften, die aus Amerika eingekauften Dokus über Panzer von N24 zu unterbieten. Keine Sorge, es gelingt. "Aber," mag sich der geneigte Leser fragen, "es muss doch einen Anlass für diesen Beitrag geben" - den gibt es, und zwar im nächsten Absatz.
In besagter Redaktion hatte man wohl die Idee, sich doch bei der Konkurrenz bedienen zu können, und da scheint irgendeinem Praktikanten die Serie "MythBusters" ins Auge gefallen zu sein. Eine Sendung, die etwa überprüft ob ein Toastbrot tatsächlich immer auf die gebutterte Seite fällt, und dann sogar noch über die physikalischen Gründe der Geschichte aufklärt. Zwar auch nicht immer einwandfrei, aber die Leute geben sich wenigstens Mühe. Nicht so bei Galileo. Schlecht geklaut ist schließlich halb gewonnen, deshalb griff man tief in die Trickkiste und beschloss, als Teil der nächsten Sendung bekannte Piratenmythen zu ergründen, und nach Möglichkeit zu widerlegen, um zu beweisen wie toll und wissenschaftlich man denn arbeiten kann.
Problem: Es gibt keine bekannten Piratenmythen. Deshalb geht man den Umweg über Filme, aus denen Ottonormalgalileogucker alle seine Vorstellungen von Piraten zieht. Das ist eigentlich auch gar nicht mal so abwegig, entsprechend war hier auch der wissenschaftliche Höhepunkt des Beitrags erreicht. Aber man muss die Sache positiv sehen, auf der folgenden Talfahrt nahm die Sendung wenigstens rasant Fahrt auf und wurde schnell immer abstruser.

Als ersten "Mythos" wollte man nun widerlegen, dass Kanonenkugeln riesige Löcher in Schiffswände reißen, wie in einem kurzen Filmausschnitt demonstriert. Entsprechend zimmerte man sich eine Wand aus Sperrholz, fuhr eine Kanone auf, und begann zu schießen. Doch Moment, eine Kanone? Ja, eine Kanone. Und zwar eine, die mit Bocciakugeln schießen konnte. Um den historischen Bezug zu wahren hatte einer der beiden Kanoniere noch ein, etwa viermal so großes, Originalgeschoss eines Fünfzehnpfünders dabei. Dass die Kanonen damals weit jenseits der 20 Pfund Metall verschossen lässt man dann doch lieber ungesagt.
Man schoss also auf das Sperrholz, mit wahrhaft durchschlagendem Erfolg, und folgerte daraus, dass diese winzigen Löcher ja keinen großen Schaden angerichtet hätten. Das könnte mit ein Grund sein, warum man Anno Dazumal mit wesentlich größeren Kanonen schoss...

Nächster "Mythos": Das Entern eines Schiffes. Und zwar sei es ja völliger Unfug, wie diese ganzen Piraten in diesen ganzen Filmen (diesmal kein Einspieler einer entsprechenden Szene), immer die Schiffe aus dem Wasser enterten.
Moment... was? Schiffe aus dem Wasser entern? Ich hatte mich keineswegs verhört. Die Testperson sprang sogleich ins Wasser, schwamm zu einem vor Anker liegenden Segelschiff, und begann, den Enterhaken an Bord werfen zu wollen. Das klappte nicht so richtig, und als der Haken dann schließlich irgendwo festhing (zwar nicht an der Reling, aber immerhin etwas über Kopfhöhe des Schwimmers) konnte der gute Mann sich aus eigener Kraft auch nicht mehr hochziehen. Gleich weiter zum nächsten Versuch, dem berühmten Entern durch Hochklettern an der Galleonsfigur. Einsatz Filmschnipsel, dann war wieder der andere Typ an der Reihe, der schnell feststellte dass das Entern eines Schiffes aus dem Wasser die Galleonsfigur hochkletternd eher gen Unpraktikabilität tendiert.
Wir halten fest: Es ist ein Mythos dass Piraten, die auf hoher See von Schiffen aus agierten, im Hafen vor Anker liegende Schiffe schwimmenderweise enterten. Was Galileo mit dieser Erkenntnis der wissenschaftlichen Gemeinschaft für einen Beitrag geleistet hat, kann ich kaum in Worte fassen. Kaum, wohlgemerkt, denn ich kann.

Dritter Mythos, das Versenken von Schiffen durch Kanonenschüsse. Ja, richtig. Wer abgehärtet genug war, den vorangegangenen Unsinn ohne auch nur ein Wimpernzucken über sich ergehen zu lassen, der muss spätestens jetzt eine Reaktion zeigen. Der gesunder Menschenverstand mag zwar diktieren, dass ein Loch unter der Wasserlinie früher oder später jedes Schiff zum Sinken bringt, der gesunde Menschenverstand glänzt aber in der Galileo-Redaktion höchstens durch Abwesenheit.
Ergo nimmt man die Kanone vom ersten Versuch, fährt zum nächsten See, stellt als Ziel ein altes Segelboot zur Verfügung, und beginnt zu schießen. Ein paar Löcher in die Kabine später stellen die Kanoniere erstaunt fest, dass das Boot ja gar nicht sinkt. Ein Passant muss dann erklärt haben, dass zum Sinken Wasser in das Boot muss, denn nachdem die Kabine begann schweizer Käse mit übereifrigen Bakterien zu ähneln, richtete man seine Aufmerksamkeit auf den Rumpf des Bootes. Einige weitere schlecht platzierte Schüsse später traf dann schließlich einer (wohl unabsichtlich) ziemlich dicht am Wasser, das Boot lief voll, und man konnte sein Erstaunen darüber ausdrücken, dass das Boot ja viel schneller sinkt wenn das Loch ganz unter der Wasserlinie liegt als vorher.
Zwischenzeitlich hatte man noch die Erkenntnis, dass das ja sehr schwierig sei, mit der Kanone auf so ein Boot zu zielen, dass das auf hoher See völlig unmöglich gewesen sein muss, und dass entsprechend wohl die ganze Sache mit den Seegefechten frei erfunden sein muss, weil die sich ohnehin nie getroffen hätten. Aus nächster Nähe vielleicht, aber da kann man dann ja auch ins Wasser springen und entern. Trotzdem war der Mythos, unter Vorbehalt, bestätigt. Selbst mit Galileo-Logik kann man ein gesunkenes Segelboot wohl nicht als ungesunken erklären.

Mag sein dass es noch irgendeinen anderen behandelten Mythos gab, den habe ich aber entweder verdrängt (selektive Amnesie durch das Unterbewusstsein, um die psychische Selbstheilung zu ermöglichen), oder vor lauter Entsetzen gar nicht wahrgenommen.
Das, jedenfalls, war ein neuer Tiefpunkt im Vorabendprogramm. Wäre ich optimistisch, könnte ich mich jetzt vielleicht damit trösten, dass es eigentlich nur noch aufwärts gehen kann. Bin ich aber nicht, kann ich also auch nicht. Vielleicht muss ja einfach wieder eine Inquisition her, die den Galileo bis an sein Lebensende wegsperrt. Diesmal wäre es sogar nützlich.

1 Kommentare:

Madse hat gesagt…

Ich frag mich sowieso schon, wer das immer schaut. Den Bild-Lesern wirds zu intelligent sein und den Intelligenten isses zu dumm. Oder gibts da noch was dazwischen?